Von Justin Pietsch
Mitarbeiter des Jugendamtes
besuchen Pflegeeltern nach Angaben des Diplom-Psychologen Kay-Uwe Fock
nicht immer so oft, wie es sein sollte. "Im Prinzip sollte mindestens
einmal pro Jahr ein Hilfeplangespräch erfolgen, dazu auch ein oder
mehrere Hausbesuche", sagte der Mitarbeiter des Vereins Freunde der
Kinder e. V. Das sei eigentlich das Mindeste, was sein soll. "Aber auch
das passiert nicht immer. Da gibt es einen großen Unterschied zwischen
Theorie und Praxis, denn die Mitarbeiter des Jugendamtes sind häufig
durch zu viele Fälle überlastet."
Es gebe zwei
Wege, auf denen ein Kind in eine Pflegefamilie gelange: Entweder stellen
die zukünftigen Pflegeeltern einen Antrag beim Jugendamt. "Da wird dann
schon sehr genau geguckt", sagte der Diplom-Psychologe. "Es gibt einen
ganzen Katalog an Regeln." So müssten die Pflegeeltern wirtschaftlich
unabhängig sein, gesund sein, keine Vorstrafen haben und in der Lage
sein, mit dem Kind pädagogisch zu arbeiten. Eine überwundene
Drogenabhängigkeit sei aber nicht zwingend ein Ausschlusskriterium. "Es
muss natürlich sichergestellt sein, dass das Problem überwunden ist."
Aber "natürlich ist so etwas auch fehleranfällig in dem Sinne, dass wohl
niemand freiwillig darüber Auskunft gibt. Hier kommt es auf den
geschulten Blick der Fachkräfte an." Im Fall Chantal waren die
Pflegeeltern drogenabhängig und nahmen die Heroin-Ersatzdroge Methadon,
an der die Elfjährige starb.
Der andere Weg
sei der sogenannte Nachvollzug. Dabei hätten Freunde oder Verwandte das
Kind bereits aufgenommen. Sorgeberechtigte stellen danach beim Jugendamt
einen Antrag auf "Hilfe zur Erziehung" und Pflegegeld. "Das Jugendamt
kommt also dazu, wenn das Kind schon aufgenommen wurde", sagte der
Experte. "Um ein Kind dann da wieder herauszunehmen und in einer
geprüften Pflegefamilie unterzubringen, muss man nachweisen, dass das
Kindeswohl gefährdet ist." Das müsse man juristisch gut begründen. "Ein
Wechsel in eine andere Familie wäre auch wieder eine Belastung für das
Kind", sagte Fock. Knapp die Hälfte der Pflegekinder komme auch derzeit
noch über den Nachvollzug in Familien.
Generell würden
Pflegeeltern händeringend gesucht. "Davon gibt es viel zu wenige." So
gebe es in der Hansestadt etwa 1300 Kinder in Pflegefamilien und
ungefähr doppelt so viele in Wohngruppen. "Eine Wohngruppe ist viel
teurer als eine Pflegefamilie. Aber aus meiner Sicht ist eine gute
Pflegefamilie die viel bessere Option für das Kind als eine Wohngruppe.
Weil ein Beziehungsnetz da ist, weil engagierte Eltern da sind."
Wenn Eltern vom
Jugendamt als Pflegefamilie akzeptiert wurden, erhalten sie Pflegegeld.
Das sei nach Alter gestaffelt. "Angenommen, der Pflegesatz beträgt 800
Euro, dann sind etwa 300 Euro Erziehungshonorar. Also das, was den
Eltern zur Verfügung steht. Der Rest deckt den Lebensunterhalt des
Kindes." Dass Eltern ein Kind bloß wegen des Geldes in Pflege nehmen,
komme nur selten vor. Der Verein Freunde der Kinder ist der
Landesverband der Pflege- und Adoptivfamilien in Hamburg und berät
Eltern, die ein Pflege- oder Adoptivkind aufgenommen haben. Diese wenden
sich aktiv an den Verein. "Die sind gut ausgebildet, aus der
Mittelschicht, engagiert, mit gutem Einkommen." Pflegeeltern, die ein
Kind über einen Nachvollzug aufgenommen haben, seien durch ein
Beratungsangebot sehr schwer zu erreichen.
Im Fall Chantal
war das Jugendamt am 4. Januar zuletzt bei der Familie. Damals soll das
Mädchen noch ein Weihnachtsgedicht vorgetragen haben, den Mitarbeitern
soll dabei nichts in der Wohnung aufgefallen sein. Jetzt soll die
Leiterin des Jugendamtes alle Informationen zusammentragen und die
Fakten präsentieren. Davon könne auch die Zukunft des Bezirksamtsleiters
Mitte, Markus Schreiber (SPD), abhängen. Chantal ist das zweite Kind
innerhalb weniger Jahre, das im Bezirk Mitte durch ein Fehlverhalten von
Eltern starb, die unter Betreuung des Jugendamtes standen. Lara Mia war
2009 stark unterernährt gestorben.
Die Deutsche
Kinderhilfe kritisierte das "krasse Versagen der Hamburger Jugendhilfe".
Dies nun auf den Datenschutz zu schieben sei ein "perfides
Ablenkungsmanöver von eklatanten Verstößen gegen jegliche Fachlichkeit",
erklärte der Vorstandsvorsitzende Georg Ehrmann. In vielen Kommunen
würden Krankheiten, Vorstrafen oder Drogenabhängigkeit verlässlich und
ohne Verstoß gegen den Datenschutz ermittelt. "Nicht Datenschutz,
sondern Ignoranz und fehlende Standards in der Jugendhilfe behindern
Kinderschutz. Tragisch ist, dass Hamburg gesetzeskonform handelte."
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