Die Effizienz dieser Behandlung wird bereits seit den 50er Jahren auf
die dopaminfreisetzende Wirkung dieser Substanzen zurückgeführt. Eine
unzureichende Aktivität des dopaminergen Systems im Gehirn dieser Kinder
wird deshalb für die Entstehung und Aufrechterhaltung der
ADS-Symptomatik verantwortlich gemacht.
Wie tragfähig sind diese alten Modellvorstellungen heute noch?
Zusammenfassung einer Einschätzung von Gerald Hüther, erschienen in: “Praxis Schule” 4/2011:
Die enormen Forschungsanstrengungen, die bisher zur Aufklärung der
mit dieser Störung assoziierten neurobiologischen und
molekulargenetischen Auffälligkeiten und der insbesondere durch
medikamentöse Behandlungen auslösbaren therapeutischen Effekte bei
ADS-Patienten gemacht wurden, stehen in eklatanten Mißverhältnis zu den
bisherigen Bemühungen, geeignete präventive Maßnahmen zur Verhinderung
der Manifestation dieses Störungsbildes zu erarbeiten, einzusetzen und
im Rahmen präventiver Interventionsprogramme wissenschaftlich im
Hinblick auf ihre Effizienz zu überprüfen. Ursache hierfür ist
einerseits das klassische alte Reparaturdenken, das bisher die Praxis,
die Forschung und die Theoriebildung in der Medizin bestimmt hat und
noch immer weitgehend bestimmt.
Andererseits wurde die Vorstellung eines „Dopamindefizits“ im Hirn
hyperkinetischer und aufmerksamkeitsgestörter Kinder automatisch mit der
Annahme verbunden, dass diese Veränderung des dopaminergen System nur
genetisch bedingt sein könne. Solange aber eine genetisch verursachte
Stoffwechselstörung“ für die Ausbildung dieses Störungsbildes auf der
Verhaltensebene verantwortlich gemacht wurde, musste jeder Versuch, die
Manifestation dieser Verhaltensstörungen durch präventive Maßnahmen zu
verhindern, als nutzloses Unterfangen erscheinen. Das einmal entwickelte
Bild über die Ursache der Störung war also zu einer denk- und
handlungsleitenden inneren Orientierung geworden, die nun selbst alle
weiteren Forschungsstrategien und therapeutischen Bemühungen bestimmte.
Wenn also in Zukunft verstärkt nach geeigneten präventiven
Maßnahmen gesucht werden soll, die zur Verhinderung der Manifestation
von ADS-Symptomen führen, so wird das nur gelingen, wenn wir uns von dem
bisherigem Bild über die organisch, genetisch oder neurobiologisch
begründeten Ursachen dieser Verhaltensstörungen verabschieden. Erst wenn
ein neues, entwicklungsneurobiologisch orientiertes Konzept die alten
Modelle abgelöst hat, kann auch gezielt nach Möglichkeiten gesucht
werden, die in diesen Kindern liegenden Potenziale, ihre Begabungen und
besonderen Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Erst dann kann die
Umsetzung erfolgreicher Präventivmaßnahmen in den Mittelpunkt der
Anstrengungen um das Wohl und Wehe von auffälligen Kindern gerückt
werden, bevor diese eine ADS-Symptomatik ausbilden.
Es gibt natürlich die einflussreichen Verbände und
AD(H)S-Selbsthilfegruppen, die noch sehr konventionell denken. Viele
Eltern und auch manche LehrerInnen fühlen sich von deren Argumentation
angezogen. Das kann man auch verstehen. Viele dieser Eltern haben Angst
vor dem Vorwurf, dass ihre Erziehung für diese Kinder vielleicht nicht
optimal war. Deshalb empfinden sie die Vorstellung entlastend, dass das
Hirn ihres Kindes irgendwie „kaputt“ sei oder ein genetischer Defekt
vorliege, und dass das mit Ritalin bzw. Psychostimulanzien zu beheben
sei. Die Elternverbände greifen dieses Bedürfnis auf und kämpfen mit
unglaublicher Macht darum, dass das derzeitige Konzept bestehen bleibt.
Viele von ihnen haben Probleme damit, dass ausgerechnet
Hirnforscher ihnen vorhalten, dass es vielleicht nicht so gut ist, wenn
man ein sich entwickelndes Gehirn in seiner Funktionsweise mit Hilfe von
Medikamenten verstellt und das Kind dadurch kaum eine Chance auf
Selbstorganisationsprozesse hat. Denn all das, was das Medikament mit
seinem Gehirn macht, kann es ja dann selbst nicht durch eine eigene
Anstrengung erlernen.
der gesamte Beitrag ist nachzulesen unter: http://www.sinn-stiftung.eu/downloads/generation-ritalin-praxis-schule_huether-geral.pdf
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