Richter kannten Vorwürfe aus Kinderheimen
Eine ehemalige Mitarbeiterin des Jugendgerichts glaubt, dass Vorwürfe gegen Erzieher seit Jahrzehnten aktenkundig sind.
Letztes Update am
21.04.2012
Schloss für Kinder:
Im ehemaligen Heim am Wilhelminenberg ist mittlerweile ein Hotel untergebracht.
Eine Welle der Empörung löste am
16. Oktober 2011 das KURIER-Interview
mit zwei ehemaligen Zöglingen des Kinderheimes am Wiener
Wilhelminenberg aus. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist es Zeit für eine
erste Bilanz. Und wieder kommen neue Vorwürfe ans Tageslicht. „Rotziger
Bua, verrecken sollst auf an Strohsack in Stein.“ Dieses Zitat soll von
einem Richter des Wiener Jugendgerichtshofs (JGH) stammen. Maria D.,
63, war in den 1960er- und 70er-Jahren am JGH als Schriftführerin tätig.
Und sie erinnert sich an menschenverachtenden Umgang mit jungen
Straftätern.
Nicht geglaubt
„Ich sehe den Gerichtshof noch vor mir: All den Kindern wurde nicht
geglaubt“, sagt D. Die Jugendlichen, die vor Gericht standen, seien „bei
Gott keine Waserln“ gewesen. Viele waren Heimkinder. „Schon damals
haben die Kinder von brutalen Erzieherinnen und Erziehern erzählt.“ Die
Vorwürfe gegen die Heime seien von den Richtern durchwegs als Lügen
abgetan worden. „Vor allem das Heim Hohe Warte hatte einen Ruf, der ein
Skandal war“, sagt D. Es stimme also nicht, erklärt D., dass niemand
über Vorfälle in Heimen Bescheid gewusst habe.
Noch heute könnten die Aussagen der jungen Leute leicht nachvollzogen
und aufgearbeitet werden. „Das steht ja alles in den
Gerichtsprotokollen. Ich habe es ja selbst stenografiert.“ Vorwürfe, die
Vergewaltigung betreffen, seien ihr keine bekannt. „Das wundert mich
nicht. Welcher Pubertierende soll vor einem 19-jährigen Mädel, wie ich
eines war, erklären, dass er missbraucht worden ist?“
Auch dem Präsidenten der Opferschutz-Organisation Weisser Ring, Udo
Jesionek, ab 1982 selbst Vorsitzender des JGH, waren harte Jugendrichter
bekannt. „Da gab es einige, deren Ruf war regelrecht legendär.“ Heute
würde man sensibler mit Jugendlichen umgehen. Gelandet sind die jungen
Straftäter wieder in Erziehungsanstalten. Die Mädchen in Wiener Neudorf,
die Burschen in Kaiserebersdorf. „Das war schlimmer als für Erwachsene
in Stein. Kinder wurden im Keller eingesperrt und mit Essensentzug
bestraft“, behauptet D. Jugendliche hätten bis Mitte der 1970er-Jahre
für gleiche Delikte wesentlich längeren Freiheitsentzug als Erwachsene
gehabt. Denn zusätzlich zur Strafe wurden sie in Kaiserebersdorf
anschließend zur „Erziehung“ behalten. „Kaiserebersdorf war ein
Albtraum“, sagt auch Jesionek. Noch gebe es aber für dessen Zöglinge
keine Entschädigungen. Das zuständige Justizministerium legte sich
bisher nicht auf die Zahlungsmodalitäten fest.
Weisser Ring: Seit Oktober 682 Opfer
Zwischenbilanz Seit 2010 haben sich 1025
Menschen bei der Opferschutzorganisation Weisser Ring gemeldet. 682
davon meldeten sich nach der Berichterstattung über den Heimskandal im
Kinderheim am Wiener Wilhelminenberg. 592 Fälle wurden bereits in
Sitzungen des Weissen Rings behandelt. 426 Opfer wurden entschädigt, 311
haben eine Psychotherapie in Anspruch genommen. In 44 Prozent der Fälle
stellte der Weisse Ring „sexualisierte Gewalt“ fest. 59 Prozent der
Opfer sind männlich , 41 demnach weiblich. 77 Meldungen betreffen das
Kinderheim in Eggenburg, 71 die Hohe Warte, 66 fallen auf das Heim am
Wilhelminenberg 59 auf das in Hütteldorf. .
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