Sie heißen Chantal, Kevin, Jessica oder Lara-Mia, sie sind minderjährige Staatsbürger, und ihre Eltern versagen. Misshandlungen und sogar Kindstod sind die Folge. Alle paar Wochen schrecken solche Meldungen auf, im Café oder am Küchentisch sagen erwachsene Menschen zueinander: „Ist das nicht furchtbar?“ Denn da wurden schon wieder namenlose Kinder von Polizisten aus einer Wohnung geholt, die einer Müllkippe glich, schon wieder starb ein Kind und wies blaue Flecken, Blutergüsse, Knochenbrüche, Schädelfrakturen auf, schon wieder werden offenkundige „Todesursachen geklärt“, erscheinen in der Presse Passfotos der Opfer, Kinder mit verpixelter Augenpartie, treten betroffene Behördenmitarbeiter vor Mikrophone.
Jugendämter entsenden Helfer in die familiären Krisengebiete, teils täglich
besuchen sie die Haushalte. Als Ultima Ratio können Behörden „Inobhutnahme“ oder „Fremdunterbringung“ anordnen und Kinder in Heime oder zu Pflegeeltern schicken. Obhut, Schutz, Pflege, Hilfe – vielversprechende Begriffe haben den in Verruf geratenen der „Fürsorge“ ersetzt. Aber sogar unter konstanter Beobachtung des Jugendamtes kommen Kinder ums Leben. Allein im vergangenen Jahr, sagt die Deutsche Kinderhilfe, sind mehr als 150 Kinder in Familien, die vom Jugendamt betreut wurden, an den Folgen von Gewalt gestorben – obwohl die Kommunen jährlich sieben Milliarden Euro in die „Hilfen zur Erziehung“ investieren.
Lange sahen Politiker in der Kinder- und Jugendhilfe meist nur einen Posten mit Einsparpotenzial. Erst als 2007 der Junge Kevin im Kühlfach des elterlichen Eisschranks gefunden wurde und das kleine Mädchen Lea-Sophie im Elternhaus verhungert war, kam Alarmstimmung auf. Im Fall Kevin fanden Ermittler die Akte des Jungen als „ungeordnete Loseblattsammlung“ vor. Plötzlich leuchteten mediale Scheinwerfer in Ämter, die ungestört vor sich hin gewirkt hatten.
Im Dezember 2007 lud das Kanzleramt zum Gipfel mit den Ministerpräsidenten, das Thema kam auf den Tisch des Bundes, und eine Weile folgte Aktionismus. Die Anzahl schlimmster Fälle sank. Dann fielen die Ämter wieder in den alten Trott. In der kriminalpolizeilichen Statistik 2010 tauchen 183 Kinder als Tötungsopfer auf, 129 von ihnen waren nicht einmal sechs Jahre alt, 4367 Fälle körperlicher Misshandlung von Kindern unter 14 nennt dieselbe Statistik, 1842 von ihnen unter sechs Jahren.
Was läuft so massiv schief?
Nicht nur sind immer mehr Eltern mit Erziehung überfordert. Vor allem hat jedes der 600 Jugendämter der Republik seine eigenen Stile und Maßnahmen, wonach man dort mit „Trägern“ zusammenarbeitet, die extern Hilfen anbieten.
„Bundesweit einheitliche Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe fehlen schlicht“, sagt Georg Ehrmann von der Deutschen Kinderhilfe.
In Ursula von der Leyens Reformentwurf für das Kinderschutzgesetz waren solche Standards vorgesehen, etwa Standards für Evaluationen, Führungszeugnisse für Pflegefamilien, das Einbeziehen von Ärzten bei Hausbesuchen. Doch Hilfe-Anbieter wie Caritas, Diakonie und Paritätischer Wohlfahrtsverband wehrten sich mit Händen und Füßen, ebenso die Kommunen. Man wisse selber vor Ort am besten, was „Klienten“ brauchen, hieß es, man wolle nicht bespitzelt werden, Standards brächten nichts.
Das sind Ausreden. Der Unterschied wäre nämlich enorm. Überprüfbar würde das System der Hilfen. Ämter, Träger und Kommunen würden klarer haftbar und müssten mehr Sorgfalt aufwenden. Auch wäre es teurer. Vor allem aber, und das ist entscheidend, wäre mehr Kindern geholfen.
besuchen sie die Haushalte. Als Ultima Ratio können Behörden „Inobhutnahme“ oder „Fremdunterbringung“ anordnen und Kinder in Heime oder zu Pflegeeltern schicken. Obhut, Schutz, Pflege, Hilfe – vielversprechende Begriffe haben den in Verruf geratenen der „Fürsorge“ ersetzt. Aber sogar unter konstanter Beobachtung des Jugendamtes kommen Kinder ums Leben. Allein im vergangenen Jahr, sagt die Deutsche Kinderhilfe, sind mehr als 150 Kinder in Familien, die vom Jugendamt betreut wurden, an den Folgen von Gewalt gestorben – obwohl die Kommunen jährlich sieben Milliarden Euro in die „Hilfen zur Erziehung“ investieren.
Lange sahen Politiker in der Kinder- und Jugendhilfe meist nur einen Posten mit Einsparpotenzial. Erst als 2007 der Junge Kevin im Kühlfach des elterlichen Eisschranks gefunden wurde und das kleine Mädchen Lea-Sophie im Elternhaus verhungert war, kam Alarmstimmung auf. Im Fall Kevin fanden Ermittler die Akte des Jungen als „ungeordnete Loseblattsammlung“ vor. Plötzlich leuchteten mediale Scheinwerfer in Ämter, die ungestört vor sich hin gewirkt hatten.
Im Dezember 2007 lud das Kanzleramt zum Gipfel mit den Ministerpräsidenten, das Thema kam auf den Tisch des Bundes, und eine Weile folgte Aktionismus. Die Anzahl schlimmster Fälle sank. Dann fielen die Ämter wieder in den alten Trott. In der kriminalpolizeilichen Statistik 2010 tauchen 183 Kinder als Tötungsopfer auf, 129 von ihnen waren nicht einmal sechs Jahre alt, 4367 Fälle körperlicher Misshandlung von Kindern unter 14 nennt dieselbe Statistik, 1842 von ihnen unter sechs Jahren.
Was läuft so massiv schief?
Nicht nur sind immer mehr Eltern mit Erziehung überfordert. Vor allem hat jedes der 600 Jugendämter der Republik seine eigenen Stile und Maßnahmen, wonach man dort mit „Trägern“ zusammenarbeitet, die extern Hilfen anbieten.
„Bundesweit einheitliche Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe fehlen schlicht“, sagt Georg Ehrmann von der Deutschen Kinderhilfe.
In Ursula von der Leyens Reformentwurf für das Kinderschutzgesetz waren solche Standards vorgesehen, etwa Standards für Evaluationen, Führungszeugnisse für Pflegefamilien, das Einbeziehen von Ärzten bei Hausbesuchen. Doch Hilfe-Anbieter wie Caritas, Diakonie und Paritätischer Wohlfahrtsverband wehrten sich mit Händen und Füßen, ebenso die Kommunen. Man wisse selber vor Ort am besten, was „Klienten“ brauchen, hieß es, man wolle nicht bespitzelt werden, Standards brächten nichts.
Das sind Ausreden. Der Unterschied wäre nämlich enorm. Überprüfbar würde das System der Hilfen. Ämter, Träger und Kommunen würden klarer haftbar und müssten mehr Sorgfalt aufwenden. Auch wäre es teurer. Vor allem aber, und das ist entscheidend, wäre mehr Kindern geholfen.
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Hätte eine Terrorzelle drei Kinder pro Woche auf dem Gewissen, stünde der Staat Kopf, über Kosten würde nicht diskutiert. Familien aber, die für Kinder Orte des Terrors sind, lässt man weitermachen.
Geschützt wird bei uns das System, nicht das Kindeswohl.
Geschützt wird bei uns das System, nicht das Kindeswohl.
Der Tagesspiegel, Caroline Fetscher
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