10.03.12

Prof. Uwe Jopt über Kinder, Jugendhilfe und Gerichte »Im Jugendamt arbeiten wohlmeinende Laien«

B i e l e f e l d (WB). Deutschland ist schon fünfmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden, weil Familien unter angeblich falschen Entscheidungen von Jugendämtern und Familienrichtern gelitten haben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranstaltet deshalb in der kommenden Woche ein Expertengespräch zum Thema Eltern und Jugendämter. Ein Teilnehmer ist Prof. Dr. Uwe J o p t von der Uni Bielefeld. Christian A l t h o f f sprach mit dem Diplompsychologen und Sachverständigen.

Es gibt Jugendämter, die Ihre Kritik fürchten. Haben Sie generell etwas gegen diese Behörden?

Prof. Uwe Jopt: Überhaupt nicht! Ich nenne sie auch die Kinderschutzpolizei. Jugendämter sind sehr wichtig, um Kindern zu helfen, die in Not sind, die nicht gut versorgt oder sogar misshandelt werden.

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland etwa 28 000 Kinder aus ihren Familien geholt worden. Ist das nicht eine erschreckend hohe Zahl?

Prof. Uwe Jopt: Die Jugendämter haben ihre Gründe. Die weitaus meisten Mitarbeiter dort entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Und wenn man an Fälle wie den toten Kevin denkt, dann sage ich: Besser ein Kind zu viel als eines zu wenig aus der Familie holen.

Aber?

Prof. Uwe Jopt: Das ganz große Problem in Deutschland ist: Was passiert eigentlich nach der Kindeswegnahme? Da liegt ganz, ganz viel im Argen. Da leiden etliche Kinder oft jahrelang, obwohl das vermeidbar wäre.

Wie kommt es dazu?

Prof. Uwe Jopt: Das Gesetz sieht vor, dass entzogene Kinder in der Regel wieder zu ihren Eltern kommen, wenn sich dort die Verhältnisse gebessert haben. Viele Jugendämter tun aber alles, damit Kinder nicht zurückgeführt werden. Das fängt damit an, dass sie die Kinder zu Pflegeeltern geben, die sehr oft gescheiterte Adoptionsanwärter sind. Ich habe selbst erlebt, dass Jugendamtsmitarbeiter zu Pflegeeltern gesagt haben: Gehen Sie davon aus, dass die Mutter das Kind nicht wiederbekommt! Es ist nur allzu menschlich, dass Pflegeeltern so ein Kind nie wieder hergeben wollen und es deshalb der leiblichen Familie entwöhnen. Zumal die Jugendämter das noch unterstützen, indem sie den leiblichen Eltern oft für Monate untersagen, ihr Kind zu sehen. Dann kommt es irgendwann zu so genannten begleiteten Kontakten. Das ist manchmal der reinste Wahnsinn! Da sitzen die Pflegemutter und Jugendamtsmitarbeiter um das Kind herum, und dann wird der leiblichen Mutter gesagt: Jetzt interagieren Sie mal! Die Mutter geht verunsichert auf ihr Kind zu und sagt: Ich bin es, deine Mama! Und im selben Moment wird die Frau auch schon von einer Jugendamtsmitarbeiterin gestoppt, die mit dem Abbruch des Kontakts droht, sollte die Mutter ihr Kind weiter so verunsichern. Denn für das Kind, so erfährt die Mutter, sei ja die Pflegemutter inzwischen zur Mama geworden.

Die Folgen einer Trennung sind also für das Kind dramatisch?

Prof. Uwe Jopt: Und wie! Eine Trennung ist ein massives Trauma. Viele Kinder werden danach auffällig. Sie haben Angstträume, nässen ins Bett und werden aggressiv. Für einen Kinderpsychologen sind das ganz normale Reflexe auf die Trennung. Aber Jugendämter werten dieses Verhalten oft als Beweis für angeblich schlechte Bedingungen im Elternhaus und fühlen sich bestätigt. Es ist auch ganz natürlich, dass sich ein kleines Kind, das bei Pflegeeltern aufwächst und seine leibliche Mutter sehr lange nicht sehen durfte, beim ersten Wiedersehen an die Pflegemutter klammert. Daraus folgern viele Jugendamtsmitarbeiter unzulässigerweise, dass das Kind keinen Kontakt zu seiner Mutter möchte.

Aber die Jugendamtsmitarbeiter sind doch ausgebildet. Müssten sie das Verhalten der Kinder nicht richtig deuten können?

Prof. Uwe Jopt: Das ist das zweite große Problem. In Jugendämtern arbeiten sehr viele wohlmeinende Dilettanten. Das möchte ich nicht boshaft, sondern kritisch verstanden wissen. Viele haben an der Fachhochschule Sozialpädagogik studiert und werden dann mit der verantwortungsvollsten Aufgabe betraut, die es überhaupt in einer Stadt- oder Kreisverwaltung gibt: Über die Zukunft von Kindern zu entscheiden. Dafür aber fehlt diesen Menschen jede kinderpsychologische Ausbildung. Selbst in einem Psychologiestudium wird Entwicklungspsychologie meist mit einer Vorlesung und zwei Seminaren abgefeiert. Das ist viel zu wenig.

Wie haben Sie sich denn Ihre Kompetenz angeeignet?

Prof. Uwe Jopt: Ich werde bald 65, und ich habe mein Leben lang gelernt. Sehr viel auch aus meinen Fehlern. Ich erinnere mich an einen Fall, da lebten die getrennten Eltern in zwei Wohnungen nebeneinander. Sie stritten sich trotzdem jeden Tag aufs Schlimmste, und mittendrin war die fünfjährige Tochter. Ich dachte, ich müsste die Situation für das Kind entspannen und habe dem Vater empfohlen, in ein anderes Haus zu ziehen. Als ich dem Mädchen das erzählt habe, war es nicht etwa erleichtert, sondern fing bitterlich an zu weinen. Ich hatte versucht, den Fall mit Erwachsenenlogik zu lösen. Dabei hätte ich mich in das Kind versetzen müssen. Und das ist es, was ich heute immer wieder versuche.

Wer aus Fehlern lernen will, muss zu Eigenkritik fähig sein...

Prof. Uwe Jopt: ...und die vermisse ich bei vielen Jugendämtern. Ich erstelle pro Jahr etwa 60 Gutachten, aber bis heute kenne ich nicht einen Fall, in dem sich ein Amt bei Eltern entschuldigt hat. Dabei gibt es hanebüchene Dinge! Ich kenne ein Jugendamt, das hat einer Mutter drei Kinder weggenommen, weil sie die Kleinen angeblich nicht ausreichend gefördert hat. Irgendwann kam heraus, dass die Kinder seit ihrer Geburt geistig behindert waren, und die Mutter sehr wohl alles getan hatte, was ihr möglich war, um die Kleinen zu fördern. Heute hat sie die Kinder wieder, aber glauben Sie nicht, dass die Behörde sich entschuldigt hat!

Die Jugendämter argumentieren, ihre Entscheidungen seien ja schließlich von Richtern bestätigt.

Prof. Uwe Jopt: Für die Kindesentziehung trifft das ja auch zu. Aber danach findet keine Kontrolle mehr statt. Das Sorgerecht hat dann oft ein Verwaltungsmitarbeiter, der im schlimmsten Fall der Vormund mehrerer hundert solcher Kinder sein kann. Es wird doch niemand im Ernst glauben, dass dieser Beamte sich so um das einzelne Kind kümmert wie das Eltern tun würden! Zum Thema Familienrichter ist außerdem zu sagen: Ein Richter ist kein Kinderpsychologe. Er braucht für seine Entscheidung eine Grundlage, und das sind nun mal Stellungnahmen von Jugendämtern und gelegentlich auch von zweifelhaften Gutachtern.

Warum zweifelhaft?

Prof. Uwe Jopt: Jeder, der etwa Pädagogik oder Psychologie studiert hat, kann sich Gutachter nennen. Es gibt sogar Heilpraktiker, die das tun. Niemand kontrolliert, ob und wie sich diese Leute weitergebildet haben. Ich selbst bilde deshalb seit Jahren Psychologen zu Gutachtern aus. Das ist nicht mal gerade so zu machen, das dauert 18 Monate.

Die CDU/CSUBundestagsfraktion veranstaltet in der kommenden Woche eine Anhörung zum Thema Jugendämter, an der Sie teilnehmen. Worum geht es da?

Prof. Uwe Jopt: Natürlich bekommen auch Politiker immer wieder Briefe von Eltern, denen die Kinder weggenommen worden ist. Es wird überlegt, ob man Clearingstellen einrichten soll, die zwischen Ämtern und Eltern vermitteln.

Was halten Sie davon?

Prof. Uwe Jopt: Nicht so viel. So ein Ombudsmann steckt ja selbst nicht tief in der Materie drin, sondern hört nur das, was beide Seiten ihm vortragen.

Was ist also Ihr Vorschlag?

Prof. Uwe Jopt: In den Jugendämtern muss sich etwas ändern. Die Mitarbeiter müssten intensiv weitergebildet und dann ein bis zwei Gehaltsstufen höher eingruppiert werden.

Warum geschieht das nicht?

Prof. Uwe Jopt: Vereinzelt sind schon Ansätze da. Es gibt Jugendämter in Deutschland, die laden mich zu Weiterbildungsveranstaltungen ein. Es gibt aber auch Ämter, die sagen dem Familienrichter:
Wenn Sie den Jopt beauftragen, verweigern wir unsere Mitarbeit.

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